Liebes Tagebuch,
dank Kyaras und meiner Idee, uns keine Vorsätze für das Jahr vorzunehmen, sondern Schritt für Schritt kleine Ziele zu erreichen, habe ich es endlich geschafft. Ich habe meinem “Kinderarzt”, dem Mann, dem ich des Öfteren mein Leben zu verdanken habe, einen Brief geschrieben. Ja, natürlich es ist sein Beruf und er ist auch nur ein Mensch. Dennoch kann ich den Satz “Ärzte sind Götter in weiß”, den die Leute früher sagten, sehr gut verstehen. Ich war in meinem Leben schon ein paar Mal im Krankenhaus. Nicht so oft wie andere Menschen, aber wenn dann immer ziemlich lange und hing am seidenen Faden, wie man so schön sagt. Hörte ich jedoch seine Schritte im Gang und seine beruhigende, tiefe Stimme, wusste ich, jetzt wird alles wieder gut und so war es auch. 2005 war der letzte große Krankenhausaufenthalt. Angefangen bei einer OP weit weg von zu Hause, bei der das Aufwachen aus der Narkose schiefging bis zum Beginn des Dramas. Doch dann kam ein Anruf meines Arztes: “Du musst kämpfen, damit du stabiler wirst, dann hole ich dich nach Hause!” Mit nach Hause war zwar nicht mein Elternhaus, sondern das Krankenhaus in unserer Stadt gemeint, aber die Worte formten ein Mantra in meinem Kopf “nach Hause!” Zwei Wochen später war es so weit, ich war stabil genug für die Fahrt und es ging nach Hause. Witzigerweise auf die Intensivstation in mein “altes” Zimmer, in dem ich als kleines Kind war. Die meisten Schwestern kannten mich auch noch und freuten sich sehr, mich zu sehen, auch wenn es blöde Umstände waren, aber so war es wirklich fast wie nach Hause kommen. Alle kümmerten sich gut und mit Hilfe von allen konnte ich nach ein paar Monaten entlassen werden. Um nicht noch weiter abzuschweifen, geht’s jetzt mal weiter.
Mein Arzt musste dann leider aufhören im Krankenhaus und ist zurück in seine Heimat, sonst wäre ich auch heute, mit meinen 30 Jahren, noch bei ihm in Behandlung. Da er abrupt gehen musste, kam ich leider nie dazu, mich für alles zu bedanken. Ich nahm es mir so oft vor, doch immer schaffte der Alltag es, mir Aufgaben beziehungsweise Steine in den Weg zu legen. Aber warum lassen wir das zu? Wir sind zwischendurch oft im Internet, checken Mails und Nachrichten oder schauen irgendein “blödes”, in unseren Augen witziges Video an. Stattdessen könnten wir uns auch die Zeit für bessere Dinge nehmen. Es herrscht nun seit einem Jahr Corona. Dieses Virus hat uns Menschen buchstäblich in der Hand, denn wirklich viel können wir dagegen nicht tun und es macht vor keinem halt. Was ich damit sagen möchte, ist, dass wir nie wissen, wen es von uns trifft und vor allem wann.
All diese Gedanken können einem Angst bereiten und ich selbst hab ja schon erfahren wie schnell es gehen kann, dass man aus der Bahn geworfen wird und alles anders läuft wie gedacht. Deshalb finde ich, dass dass man Dinge, die einem wichtig sind, nicht aufschieben sollte. Möchte man sich bei jemandem bedanken, dann kann man es direkt tun. In welcher Form, ob schriftlich oder persönlich gesprochen ist ganz egal. Ich habe festgestellt, dass sich die Menschen über ein aufrichtiges Dankeschön sehr freuen.
Genauso rufen mein Mann und ich jetzt regelmäßig seine Großeltern an und erzählen ein bisschen von unserem Alltag. Ich habe leider keine mehr und die beiden freuen sich immer darüber. Gerade im Moment freut sich jeder ein wenig, die Familie zumindest mal zu hören, wenn man sich schon nicht treffen kann.
So habe ich mir jetzt gesagt, ich bin jetzt verheiratet und wurde 30 Jahre alt. Ich schreibe jetzt meinem Kinderarzt, bevor es zu spät ist und ich es bereue. Ich hatte zwar ein bisschen Angst, dass er vielleicht nicht zurückschreibt, sich gar nicht an mich erinnert oder dergleichen, aber weit gefehlt. Er schrieb mir noch am Tag, als mein Brief ankam, eine liebe und lange E-Mail zurück. Er hat sich total über meinen Brief gefreut und ich mich über seine Antwort. Unter anderem schrieb er, dass ich eins seiner “besonderen” Kinder bin, die man nicht so schnell vergisst. Er freut sich total, was aus mir geworden ist und ist stolz auf mich, da ich immer tapfer war und nie aufgehört habe zu kämpfen und das bis heute.
Ich weiß, ich bin stark und habe schon einiges hinter mir, aber dennoch möchte ich nochmal ein großes Dankeschön sagen, denn ohne ihn und meine Familie wäre ich oft nicht so mutig gewesen.
In liebe
Kim